Dienstag, 19. Juni 2012

Wer in der Demokratie schläft, wacht in der Diktatur auf (Johann-Wolfgang von Goethe)

Das große Schweigen - von Julian-Gabriel Konopka (ehemals Occupy Düsseldorf)

"Angesichts der historischen Vorgänge in der Eurozone, gewaltiger
Umverteilungsmaßnahmen und zunehmenden Demokratieentzug ist es verdächtig
ruhig auf den Straßen. Doch am Ende kann niemand sagen, er hätte das, was
uns bevorsteht, nicht kommen sehen können.


Als Wilhelm Hankel und Joachim Starbatty als D-Mark Nationalisten beschimpft
wurden, habe ich geschwiegen, denn ich wollte kein D-Mark Nationalist sein.

Als Heiner Flassbeck vor den Ungleichgewichten innerhalb der Eurozone
warnte, habe ich geschwiegen, denn ich wollte kein Anhänger eines
Gutmenschen-Ökonomen sein.

Als Hans-Olaf Henkel als Euro-Sarrazin verunglimpft wurde, habe ich
geschwiegen, denn ich wollte mich nicht mit Rechtspopulisten gemein machen.

Als Albrecht Müller vom Versagen unserer Medien, von Meinungsmache und
Gehirnwäsche sprach, habe ich geschwiegen, denn ich wollte kein
Verschwörungstheoretiker sein.

Als die Linkspartei unter die Beobachtung des Verfassungsschutzes gestellt
wurde, habe ich geschwiegen, denn ich hatte Vorbehalte gegen die
SED-Nachfolgepartei.

Als Stefan Homburg mit Griechenland-Anleihen spekulierte, habe ich
geschwiegen, weil ich nicht an die grenzenlose Haftungsbereitschaft der
Bundesregierung glaubte.

Als Hans-Werner Sinn das Target-Problem aufdeckte, welches ursächlich war
für die offiziellen Rettungsschirme, habe ich geschwiegen, denn ich glaubte,
wir retten unsere europäischen Freunde – nicht deren Geldgeber.

Als Wolfgang Bosbach von seiner eigenen Partei gemobbt wurde, nachdem er
sich der Stimme für die Bankenrettungsschirme verweigerte, habe ich
geschwiegen, denn ich glaubte, er betreibe Profilierung auf eigene Rechnung.

Als der Euro-Mitgliederentscheid von Frank Schäffler erkennbar manipuliert
wurde, der drastische Schulden- und somit Gewinnschnitte für die
Anleihebesitzer der Randstaaten vorsah, habe ich geschwiegen, denn meine
Kanzlerin behauptete: „Scheitert der Euro, scheitert Europa".

Als die Fraktionen des Deutschen Bundestags Norbert Lammert bedrängten, er
möge den Kritikern innerhalb der Bundesregierung nicht länger das Wort
erteilen, habe ich geschwiegen, denn ich hatte mich längst damit abgefunden,
dass wir nicht mehr in einer Demokratie leben.

Als Max Otte schrieb, wir leben mittlerweile in einer Finanzoligarchie,
begann ich, die Handlungsfäden miteinander zu verknüpfen, mein Schweigen zu
brechen und auf die Straße zu gehen. Doch als ich das Spiel von „Teile und
Herrsche" hinlänglich begriff, mir die Dimensionen unserer Belastungen
vergegenwärtigte und erkannte, wessen Vermögen wir über den Europäischen
Stabilitätsmechanismus (ESM) in Verbindung mit dem Fiskalpakt tatsächlich
retten, gab ich mich wieder „Brot und Spielen" hin. So wie es all jene tun,
die den Leidensdruck entweder (noch) nicht spüren oder für die der
Leidensdruck unerträglich geworden ist.

In den USA gehen die Professoren Chomsky, Stiglitz, Zizek und Graeber auf
die Straße, unter weitaus gefährlicheren Bedingungen als bei uns. Und hier?
„Wer in der Demokratie schläft, wacht in der Diktatur auf" (Johann-Wolfgang
von Goethe). Das einstige Land der Dichter und Denker liegt im Tiefschlaf,
während sich seine letzten wackeren Bundestagsabgeordneten und seine
renommiertesten Wirtschaftswissenschaftler im ideologischen Grabenkampf
befinden. Unsere Begriffe sind verwirrt, unsere intellektuellen Bindekräfte
versiegt, die Bevölkerung weithin verzagt, verblödet oder verzweifelt.

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